Wir als GJ Bochum schließen uns dem Aufruf der KPK-Bochum zur Vorabenddemo an und möchten an dieser Stelle auch die „Grundlegendes zur Kapitalismuskritik“ der Gruppe hier weiter verbreiten:

Kommt daher alle am 30.04.2016 um 19:30 Uhr zum Hauptbahnhof und lasst uns gemeinsam für eine Welt ohne Kapitalismus, Nationalismus und Rassismus demonstrieren!

Weiterhin wollen wir noch auf einen anderen Aufruf aufmerksam machen, den wir ebenfalls unterstützen wollen: „Gegen Kapitalismus und reaktionäre Ideologien!“(Link).

Wir rufen zur Beteiligung an der „revolutionären“ Vorabenddemo zum 1. Mai in Bochum auf. Wir nutzen die Gelegenheit, um einige Grundlagen der Kapitalismuskritik zu vermitteln und für kritische Anmerkungen über das Verhältnis von kapitalistischer Ökonomie und rassistischer Ideologie.
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Grundlegendes zur Kapitalismuskritik
Gruppe „Kommunistische Praxis und Kritik Bochum“

1. Der Ursprung des Kapitalismus

Der Ursprung der kapitalistischen Gesellschaft liegt in den bürgerlichen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts in England, Frankreich und Amerika. Die Gesellschaftsform, der diese Revolutionen das Ende bereiteten: die mittelalterliche Feudalgesellschaft, zeichnete sich durch eine in drei Stände gegliederte Sozialordnung aus, in der der Klerus den 1., Adlige den 2. und Handwerker, Kaufleute und Tagelöhner den 3. Stand bildeten. Der Großteil des dritten Standes sowie der mittelalterlichen Gesellschaft im Allgemeinen konstituierte sich jedoch aus einer bäuerlichen Landgesellschaft. Die Bauern unterstanden der personalen Herrschaft und Rechtsprechung sog. Feudalherren, die entweder klerikal oder adelig waren. An deren Landstück waren sie als Leibeigene gebunden. Ihre Aufgabe bestand darin, Viehzucht zu treiben und das Land ihrer Feudalherren zu beackern. Einen gewissen Teil ihres Ertrags hatten sie dabei an ihren Feudalherren abzutreten. Zudem mussten sie ihm handwerkliche Frondienste leisten. Da die mittelalterliche Gesellschaft kaum soziale Mobilität zuließ, war ein Mensch, der in den Stand hineingeboren wurde, ein Leben lang an seinen Stand gebunden, d.h. er musste sein ganzes Leben als leibeigener Bauer fristen.
Die bürgerlichen Revolutionen hatten den Zweck, die Feudalordnung und die daran geknüpften wirtschaftlichen Beschränkungen sowie die Leibeigenschaft der unfreien Bauern zu brechen. An die Stelle der Leibeigenschaft traten nun mit gleichen Rechten ausgestattete Bürger. Zu diesen Rechten gehört in erster Linie das Recht auf Privateigentum. Dieses Recht ist die Voraussetzung dafür, dass jeder Mensch über Kapital verfügen kann, um es gewinnbringend zu verwerten. Die bürgerlichen Revolutionen wollten jedem Menschen die Möglichkeit bieten, zu Wohlstand und materiellem Glück zu gelangen. Wohlstand und materielles Glück sollten nicht länger mehr ein Privileg des Adels sein. Von der bürgerlichen Neuordnung der Welt versprachen sich die bürgerlichen Revolutionäre einen Zuwachs an allgemeinem Wohlstand aller wirtschlich liberalen Gesellschaften.

2. Der bürgerliche Nationalismus

Zu den tragenden Säulen, auf denen die bürgerliche Gesellschaft gebaut, gehören die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit. Freiheit meint so viel wie: „freizügig“, nicht mehr an die „Scholle“ des Feudalherren gebunden), Gleichheit so viel wie: allgemeines Recht auf Privateigentum und Kapital. Zur Zeit der bürgerlichen Revolutionen waren „Freiheit und Gleichheit“ radikale Parolen gegen die Herrschaft von Klerus und Adel. Als solche Kampfparolen gehörten sie zum ideellen Kernbestand eines revolutionären Nationalbewusstseins, nach dem jeder, der die Idee der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit teilt, ein Nationalbürger sein sollte. Als Nation beschwor der 3. Stand seine Einheit bzw. Brüderlichkeit im Klassenkampf mit Feudalherrschern. Der bürgerliche Nationalismus war daher ursprünglich eine durchaus progressive Ideologie und er ist es auch heute noch gegenüber all jenen, die hinter die historischen Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft zurückfallen wollen. Dass dieser zivilisatorische Rückfall häufig selbst im Gewand des Nationalismus – und zwar des völkischen Nationalismus – auftritt, muss Gegenstand einer radikalen antinationalen Ideologiekritik sein.

3. Konkurrenz und bürgerliches Glücksversprechen

Freiheit und Gleichheit gehören zum Programm eines bürgerlichen Versprechens auf materielles Glück. Dieses Glück sollte durch einen ökonomischen Egoismus und wirtschaftliche Konkurrenz erzielt werden. Wenn jeder nur seine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt, dann – so das bürgerliche Kalkül – fördert dies den Wohlstand und das Glück der Nationen. Adam Smith, einer der bedeutendsten Vordenker des wirtschaftlichen Liberalismus, formuliert dies so: „Der einzelne ist stets darauf bedacht, herauszufinden, wo er sein Kapital […] so vorteilhaft wie nur irgend möglich einsetzen kann. Und tatsächlich hat er dabei den eigenen Vorteil im Auge und nicht etwa den der Volkswirtschaft. Aber gerade das Streben nach seinem eigenen Vorteil ist es, das ihn ganz von selbst oder vielmehr notwendigerweise dazu führt, sein Kapital dort einzusetzen, wo es auch dem ganzen Land den größten Nutzen bringt.“

4. Kapitalismus bedeutet Ausbeutung

Ein „Kapital“ ist eine Geldsumme, die ein Kapitalist so investiert, dass daraus mehr Geld wird. Um sein Kapital zu vermehren, investiert ein Kapitalist bzw. ein kapitalistisches Unternehmen dieses zum einen (1.) in Rohstoffe und Produktionsmittel und zum anderen (2.) in menschliche Arbeitskraft, wie sie auf dem Arbeitsmarkt vorgefunden wird (zu beachten ist hier, dass der Kapitalist nicht den Arbeiter kauft, sondern nur dessen Vermögen, arbeiten zu können). Die Arbeitskraft hat einen bestimmten Wert, der sich aus der Wertsumme jener Waren ergibt, die der Arbeiter benötigt, um seine Arbeitskraft zu reproduzieren. Wenn der Kapitalist die Arbeitskraft des Arbeiters erwirbt, dann begleicht er den Wert der Arbeitskraft in Form des Arbeitslohnes.
Damit ein Kapitalist einen Arbeitsmarkt vorfindet, auf dem er Arbeitskraft erwerben kann, müssen die Arbeiter in doppeltem Sinne frei sein: Sie müssen einerseits frei von der territorialen Bindung an das Landstück eines Feudalherren sein; und sie müssen andererseits „frei“ von den gesellschaftlichen Produktionsmitteln sein, die sich in der exklusiven Verfügung der Kapitalisten befinden. Oder anders gesagt: Es muss ein gesellschaftliches Eigentums- Rechtsverhältnis vorliegen, in denen Arbeiter ihre Arbeitskraft durch einen Kaufvertrag an den Kapitalisten abtreten können, und in denen die Arbeiter dazu tatsächlich auch gezwungen sind (nur durch den Lohn, den der Arbeiter für den Verkauf seiner Arbeitskraft erhält, kann er sich und seine Familie ernähren).
Die Nutzung der Arbeitskraft ermöglicht dem Kapitalisten die Erzielung eines Mehrwertes. Dieser Mehrwert ist Voraussetzung dafür, dass Kapitalisten mit dem von ihnen vorgeschossenen Kapital ökonomischen Profit schlagen können. Er entsteht dadurch, dass die durch die Vernutzung der Arbeitskraft geschaffene Wertsumme der produzierten Waren geringer ausfällt als die Wertsumme, die zur Reproduktion der Arbeitskraft nötig ist. Der Mehrwert belegt deshalb den Grad der Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalisten.
Dieses Ausbeutungsverhältnis setzt zwischen die Arbeiter und die Vertreter des Kapitals einen fundamentalen Interessengegensatz: Während der Arbeiter für seine Arbeit einen möglichst großen Lohn erhalten will, muss der Kapitalist ein Interesse daran haben, den zu zahlenden Lohn möglichst gering zu halten, um mehr Profit einzustreichen. Die kapitalistische Gesellschaft zeichnet sich durch einen im Rahmen von Freiheit und Gleichheit geschaffenen Klassenantagonismus aus.

5. Die rastlose Jagd nach dem (Extra)Profit

Ein Kapitalist investiert sein Kapital in genau den Produktionssektor, von dem er weiß (oder jedenfalls meint zu wissen), mit der dort produzierten Warensorte guten Umsatz machen zu können. Dabei konkurriert er mit anderen Kapitalisten, die ihr Kapital ebenfalls in die Produktion dieser Warensorte angelegt haben. Jeder versucht für sich und sein Unternehmen möglichst große Marktanteile rauszuholen.
Innerhalb dieses Konkurrenzverhältnisses streben alle Kapitalisten die Erzielung eines sog. Extraprofites an. Ein Extraprofit springt für den Kapitalisten dann heraus, wenn es ihm gelungen ist, die unter seinem Kommando produzierte Warensorte günstiger herzustellen als die Konkurrenz. Auf diese Weise kann er seine Waren auch günstiger absetzen als seine Konkurrenten und dabei gleichzeitig ein Mehr an Profit herausholen. Dieses Prinzip ermöglicht ihm einen Zuwachs an Marktanteilen, die alle Kapitalisten anstreben (müssen), um die Konkurrenz klein zu halten. Diese rastlose Jagd nach immer mehr Profit ist letztendlich auch die Ursache dafür, dass im Kapitalismus trotz ungeheurer Warenmengen Menschen verhungern, Tiere grausam gehalten werden und die Natur zerstört wird. Eine Beseitigung dieser Missstände setzt die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft im Ganzen voraus.

6. Der bürgerliche Staat

In der bürgerlichen Gesellschaft müssen sich die freien und gleichen Bürger jeweils als freie und gleiche Bürger anerkennen. Ohne dieses Anerkennungsverhältnis kann eine Ökonomie, die Privateigentümer kapitalistisch in Konkurrenz setzt, nicht funktionieren. Würden die konkurrierenden Agenten der bürgerlichen Gesellschaft dieses gegenseitige Anerkennungsverhältnis außer Kraft setzten, verunmöglichten Diebstahl, Sabotage und Wirtschaftsspionage eine reibungslose Akkumulation von Kapital. Damit es soweit nicht kommt und jeder Bürger sein ökonomisches Sonderinteresse nur im Rahmen des allseits gültigen Rechts auf Eigentum verfolgt, garantiert der Staat Kraft seines Gewaltmonopols den rechtmäßigen Ablauf kapitalistischer Konkurrenz. Die Rechtspflege des bürgerlichen Staates sorgt dafür, dass niemand dem anderen sein Eigentum gewaltsam streitig machen kann und er erzwingt von allen Bürgern das Einverständnis, dass Eigentum nur durch Tausch bzw. gegen Geld erworben werden kann. Käufer und Verkäufer gehen dabei ein wechselseitiges Willensverhältnis ein, ohne dass keine Transaktion möglich ist. „Waren“, so Marx, „sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten, sie nehmen. […] [D]ie Warenhüter [müssen] sich [daher] zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis.“ Und die Aufgabe des bürgerlichen Staates besteht darin, dieses Eigentumsverhältnis und das darin inbegriffene Willensverhältnis gegen andere und unmittelbare Formen der Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums zu sichern.

7. Das Scheitern des bürgerlichen Glücksversprechens

Die kapitalistische Gesellschaft versetzt ihre Mitglieder in den Zustand allgemeiner Konkurrenz: Kapitalisten konkurrieren um Marktanteile und Arbeiter um Beförderung oder auch um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes, wenn aus Rationalisierungsgründen Arbeitsplätze abgebaut werden (müssen). Und diejenigen, die sich bereits in der Erwerbslosigkeit befinden, konkurrieren um einen Job. Dass aus einem solchen universalen Konkurrenzverhältnis kein allgemeines Glück hervorgehen kann, liegt eigentlich auf der Hand und wird durch die gesellschaftliche Realität beständig widerlegt: Denn das Glück ist in der bürgerlichen Gesellschaft ebenso partikular und vorübergehend verteilt wie der gesellschaftliche Reichtum.
Ein Kapitalist, der einen Extraprofit einstreicht, kann sich für den Moment in der Tat glücklich schätzen. Die Konkurrenz jedoch, die im gleichen Zuge Markanteile verliert, ist weniger glücklich. Und wenn jemand so hoch gewinnt, dass anderswo ein konkurrierendes Unternehmen pleitegeht, ist das Unglück des Verlierers noch größer. Gleiches gilt für die Belegschaft, die in Folge des Konkurses in die Arbeitslosigkeit entlassen werden muss und von nun an noch weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum hat als zuvor. Und am schlimmsten trifft es dann diejenigen Gesellschaften, die zu den fortgeschrittenen kapitalistischen Nationen noch nicht aufgeschlossen haben und in denen die Menschen ihre Arbeitskraft für eine Schüssel Reis und zwei Fladenbrote am Tag verhökern müssen. Solches Elend entspringt einer Gesellschaft, in der der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Im Kapitalismus und seiner Logik von Konkurrenz und Profit koinzidiert materielles Glück immer mit materiellem Unglück.

8. Das Volk als schlechte Aufhebung kapitalistischer Konkurrenz

Es ist die Konkurrenz und das permanente Gegeneinander, aus der das Unglück der kapitalistisch vergesellschafteten Menschen entspringt. Im Grunde ließe sich dieses Unglück ganz leicht aus der Welt zu schaffen: Es genügte dazu allein die Einrichtung einer Ökonomie, in der die Menschen gemeinsam und in planmäßiger Kooperation den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess so organisieren, dass alle Bedürfnisse der Menschen versorgt sind und das Glück des einen mit dem Glück aller einhergeht.
Die gesellschaftlichen Entwicklungen gehen leider in entgegengesetzte Richtung: Anstelle einer vernünftigen Organisation ihres Reproduktionsprozesses versuchen die Menschen ihr tägliches Gegeneinander in die völkische Idee einer natürlich gewachsenen Nation aufzuheben. Der Glaube an eine gemeinsam geteilte Sprache und/oder Abstammung soll die ökonomischen Gegensätze in die höher geordnete Einheit eines nationalen Miteinanders harmonisieren. Diese völkische Bestimmung der Nation ist von dem bürgerlichen Nationalgedanken grundverschieden. Der bürgerliche Nationalismus bestimmt die Nationalität anhand der subjektiven Gesinnung eines Menschen; dagegen versucht der völkische Nationalismus durch den Verweis auf vermeintlich natürliche Sachverhalte objektive Tatsachen über die nationale Zugehörigkeit entscheiden zu lassen. Dass solche Vorstellungen mit den wirklich objektiven Gegebenheiten nichts zu tun haben, belegen jedoch die Fakten.
Fakt ist nämlich: Das menschliche Individuum ist nicht primär das Produkt seiner Kultur- und Sprachgemeinschaft, sondern in erster Linie ein Produkt des technischen und industriellen Entwicklungsstandes seiner Zeit. Je fortgeschrittener dieser Entwicklungsstand ist, desto größer wird die Welt, in der das menschliche Individuum lebt. Eine Welt, die kein Internet, Telefon, Fernsehen, Post, Autos und Autobahnen, Flugverkehr etc. kennt, separiert die auf der Welt verstreuten Menschen in kleine Einheiten, die nichts voneinander wissen und unabhängig voneinander leben. In diesem technisch unterentwickelten Kontext sind auch die verschiedenen Kultur- und Sprachräume entstanden; sie haben sich historisch nur deshalb herausgebildet, weil der Stand der Produktivkräfte eine globalisierte Menschheit verhindert hat. Die gemeinsam geteilte Sprache und die kulturelle Einheit sind daher lediglich das Produkt einer rein zufälligen geografischen Kontakt- und Isolationssituation der vormodernen Welt.
Die kapitalistische Moderne und die damit verbundenen technischen und medialen Mittel haben jedoch die Individuen aus der Isolation ihres kleinen Kulturraumes herauskatapultiert und sie zu global vernetzten Weltbürgern gemacht. Auch wenn sich die Menschen in Form von Traditionen und Konservatismus dagegen wehren, sind sie Teil einer Weltgemeinschaft, in der die Kriege und Krisen des einen Kontinentes die Kriege und Krisen aller Kontinente sind. Im Kapitalismus sind die Menschen – ganz objektiv und unabhängig von ihrer Sprache oder Nationalzugehörigkeit – kleine Glieder einer alles umfassenden kosmopolitischen Weltökonomie.
Gleichermaßen realitätsfern ist auch die Vorstellung einer ursprünglichen Abstammungsgemeinschaft und Zugehörigkeit zu einer völkischen Blutsverwandtschaft, die auf natürliche Weise mit dem Boden, auf dem sie lebt, verwurzelt sei. Dass eine solche Ideologie mit den wirklich biologischen Gegebenheiten der Menschennatur nicht das Geringste zu tun hat, zeigt jede einfache Blutanalyse. Denn noch nie wurde hier ein Marker entdeckt, der die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Volk indiziert. Fakt ist vielmehr: Eine Volk wird erst dann ein Volk, wenn sich eine Ansammlung von Menschen als Volk erfindet. Hierzu ist ein großer ideologischer Aufwand zu betreiben: Menschen, die sich als Volk erfinden wollen, müssen sich dazu zunächst eine Historie konstruieren, die als identitätsstiftende Legende den Glauben an eine angeblich schon weit in die Vergangenheit reichende Einheit und Bestimmung wachsen lässt. Das historische Material muss dazu selektiv so geordnet werden, dass jene Fakten, die zur Identitätsstiftung geeignet erscheinen, kollektiv erinnert werden, während die dazu konträr stehenden Fakten kollektiv vergessen werden müssen. Zudem muss das selektiv erinnerte Material mit jeder Menge metaphysischem Auserwähltheitsglaube aufgebläht werden. Auf diese Weise entstehen Heldenlegenden und große Schlachten, die den Glauben an eine höhere Mission nähren. Zudem müssen Traditionen, Volksriten und nationale Events die herbeihalluzinierte Volksgemeinschaft stets von neuem aktualisieren und den kulturellen Export einer globalisierten Welt (mit zum Glück mäßigem Erfolg) zurückdrängen.

9. Elemente des Rassismus

I
Ein altes Stammtischvorurteil besagt: „Die Ausländer nehmen ‚uns‘ die Arbeitsplätze weg.“ So dumm diese Parole auch ist – ein gewisses Wahrheitsmoment enthält sie schon. Denn in der kapitalistischen Gesellschaft konkurrieren Erwerbslose in der Tat um eine begrenzte Anzahl an Jobs. Und wenn geflüchtete Menschen nach Deutschland kommen und irgendwann berechtigt sind, hier arbeiten und Geld verdienen zu dürfen, dann reihen sie sich in der Tat in die Schlange der Job-Bewerber ein und machen den einheimischen Menschen Konkurrenz.
Die Rassisten nehmen daher die Geflüchteten als das wahr, was sie innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft wirklich sind: als Konkurrenten. Der entscheidende Punkt, den sie dabei jedoch ausblenden, ist die Tatsache, dass in der kapitalistischen Gesellschaft jeder dem anderen Konkurrenz macht. Mit der Hautfarbe oder der Herkunft eines Menschen hat das rein gar nichts zu tun. In der völkisch vernebelten Vorstellung der Rassisten erscheint jedoch der phänotypische Landsmann als natürlicher Verbündeter und nur die Fremdgruppe der Migranten als Konkurrenten. Die ideologische Verblendung der Rassisten wirkt hier wie eine Art Raster, das die allgemeine Konkurrenz der kapitalistischen Gesellschaft als eine Konkurrenz von Eigen- und Fremdgruppe erscheinen lässt.

II
Der bürgerliche Staat trägt nicht nur dafür sorge, dass sich die einzelnen Individuen gegenseitig als Eigentümer anerkennen, sondern auch dafür, dem Kapital die entsprechende Infrastruktur und die nötigen Humanressourcen zur Profitgenerierung bereitzustellen. Zu diesem Zweck baut er beispielsweise Verkehrs- und Transportwege oder erhebt eine allgemeine Schulpflicht, damit heranwachsende Jugendliche die entsprechenden Kompetenzen erwerben, die nötig sind, um Mehrwert aus ihnen zu pressen. Maßnahmen wie diese finanziert der Staat durch Steuern, die einen Teil des Mehrwertes, den eine Volkswirtschaft akkumuliert, in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für die Sozialausgaben, die ein Staat für erwerbslose Menschen aufbringen muss.
Für jedes Einzelkapital bedeuten solche steuerlichen Abzüge eine Minimierung des erwirtschafteten Profits. Daher präferiert das Kapital jene Standorte, an denen die steuerlichen Abzüge möglichst gering sind. Die Staaten versetzt dies in eine allgemeine Konkurrenzsituation, in der sie sich jeweils mit ihren Steuersätzen unterbieten müssen. In der Konsequenz entsteht daraus eine ökonomische Handlungsrationalität, nach der alle Faktoren zu minimieren sind, die die steuerlichen Lasten vergrößern. Und genau diese staatspolitische Handlungsrationalität bestimmt auch die Ausländerpolitik des bürgerlichen Staates. Da es im Sinne ökonomischer Effizienz absolut unrentabel ist, schlecht ausgebildetes und wirtschaftlich nicht verwertbares Menschenmaterial ins Land zu lassen, sortiert der Staat all jene Flüchtlinge aus, die seine Sozialausgaben erhöhen. Wer unter diesen Voraussetzungen zu den Zweidritteln aller Flüchtlinge zählt, die kaum lesen und schreiben können, der ist für die Volkswirtschaft der bürgerlichen Nationen ein ökonomischer Schadenfaktor, der sich am besten schon vor seiner Einreise im Mittelmeer selbst eliminiert.
Nun wird man dagegen einwenden, dass Hilfe und Solidarität nicht in Abhängigkeit von der ökonomischen Nützlichkeit eines Menschen geboten sind und dass es sich kategorisch(!) verbietet, Die Existenz eines Menschen als Schadensfaktor zu behandeln – aber das ist ein moralischer Standpunkt, der der ökonomischen Handlungsrationalität des Kapitalismus diametral entgegensteht. Die einzig richtige Konsequenz, die daraus zu ziehen ist, besteht darin, die ökonomischen Verhältnisse mit dem moralisch Gebotenen in Übereinstimmung zu bringen. Denn wer vom Kapitalismus nicht reden will, der soll beim Rassismus schweigen.

III
Die Volksgemeinschaft ist der Versuch, dem kapitalistischen Unglück auf der Ebene der Ideologie zu entfliehen. Da aber das Konstrukt der Volksgemeinschaft das ökonomische Produktionsverhältnis und die darin inbegriffene Konkurrenz unverändert lässt, bleibt auch das damit verbundene Unglück fest in der Logik der gesellschaftlichen Verhältnisse verankert. Infolge dessen schlagen sich die in Volk und Nation aufgegangenen Subjekte das versprochene Glück ganz aus dem Kopf und akzeptieren ihr Unglück als vermeintlich notwendiges Schicksal. In der Dialektik der Aufklärung konstatieren Adorno und Horkheimer: „Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist.“
Die Frustration und die Wut, die aus dem nunmehr akzeptierten Unglück resultieren, entlädt sich an den Flüchtlingen. Denn diese kommen nach Europa, um hier das Glück zu finden. In ihnen lebt der Traum vom kapitalistischen Glück fort – und erst sukzessiv stellt sich die Erkenntnis ein, dass auch Europa bzw. Deutschland nicht jenes Paradies ist, von dem man ihnen erzählt hat.
Die einheimische Bevölkerung dagegen, die den Enttäuschungsprozess, der den Flüchtlingen erst noch bevorsteht, über Generationen hinweg längst durchlebt hat, fühlt sich durch die optimistische Glückserwartung der Geflüchteten provoziert. Für sie ist es unerträglich, durch die Flüchtlinge immer wieder an jenes Glücksversprechen erinnert zu werden, von dem sie sich gedanklich schmerzlich verabschiedet haben. Und genau das ist der Reizpunkt, der die deutschen Wutbürger vor die Tore der Flüchtlingsunterkünfte treibt: „Wenn wir nicht mehr aufs Glück hoffen können, dann soll es auch niemand anders dürfen!“, das ist das von Hass und Neid erfüllte Kalkül patriotischer Deutscher, die Molotow-Cocktails in Asylunterkünfte schmeißen. Dass das Problem jedoch nicht bei den Flüchtlingen liegt, sondern bei der Entsagung ihres Glücks, das kommt ihnen nicht in den Sinn.

10. Zur Aktualität und Notwendigkeit des Kommunismus

Während die völkischen Ideologen mit dem bürgerlichen Glücksversprechen brechen, fordert eine emanzipatorische Gesellschaftskritik das versprochene Glück radikal ein. Denn gesellschaftliche Emanzipation ist das absolute Gegenprinzip der völkischen Ideologie. Ihre Gewissheit und Wahrheit besteht darin, dass nicht das versprochene Glück das Problem am Kapitalismus ist, sondern die Tatsache, dass dieses Versprechen auf der Grundlage seiner ökonomischen Strukturgesetze nicht eingelöst werden kann. Denn der freie Markt, auf dem die als Privateigentümer agierenden Kapitalisten gegeneinander konkurrieren, hat nicht die menschliche Bedürfnisse, sondern den Profit als obersten Zweck der Produktion – mit allen uns bekannten verheerenden Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. – Wer jedoch meint, für die kapitalistisch verursachten Missstände einzelne Kapitalisten verantwortlich machen zu können, der hat sich darin grundlegend getäuscht. Denn die ökonomischen Entscheidungen der jeweiligen Akteure werden innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ganz wesentlich durch die Strukturgesetze des freien Marktes und der damit verbundenen Konkurrenzsituation vorgegeben. Marx spricht diesbezüglich vom „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“, denen die Kapitalisten bei Strafe eigenen Untergangs folgen müssen.
Eine richtig verstandene Kapitalismuskritik richtet sich daher nicht gegen einzelne Vertreter des Kapitals, sondern gegen die grundlegende Vergesellschaftungsform der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt: „Das Ganze ist das Unwahre.“ (Adorno) Dies führt auf die moralische Forderung nach der Abschaffung des Kapitalismus und der mit ihm gesetzten Kategorien der bürgerlichen Ökonomie. Kapitalismuskritik beginnt daher nicht etwa beim Finanzkapital bzw. der EZB, sondern bereits bei der juristischen Kategorie des allgemeinen Rechts auf Privateigentum. Denn dieses Recht bedingt es, dass einzelne über die Produktionsmittel verfügen und als Kapitaleigner gegeneinander konkurrieren. Es bedingt damit auch die dadurch in Gang gesetzte Profitlogik und die daraus resultierende abstrakte Herrschaft der ökonomischen (Konkurrenz)Verhältnisse über die kapitalistisch vergesellschafteten Subjekte.
Um das Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft einzulösen, bedarf es einer Ökonomie, die konsequent auf menschliche Bedürfnisbefriedigung ausgelegt ist – mit anderen Worten: Es bedarf einer kommunistisch assoziierten Gesellschaft. Im Kommunismus tritt an die Stelle des freien Marktes eine „Diktatur der menschlichen Bedürfnisse über die Produktion“ (ISF-Freiburg), und an die Stelle des Eigentums die Verallgemeinerung des gesellschaftlichen Reichtums. Die dieser Bedürfnisdiktatur gemäße Ökonomie entspricht einem „Verein freier Menschen“ (Marx), der vor der Produktion zunächst die Summe aller individuellen Bedürfnisse ermittelt. Nach Maßgabe des so bestimmten Gesamtbedürfnisses erstellen dann die frei assoziierten Individuen einen Produktionsplan, der die zur Deckung des Gesamtbedürfnisses nötige gesellschaftliche Gesamtarbeit so auf die entsprechenden Produktionssektoren verteilt, dass die daraus hervorgehenden Gütermengen den Bedürfnismengen entsprechen. Bei gleichzeitiger Bedürfnisdeckung kann so Überproduktion vermieden und lästige Arbeitszeit eingespart werden. Mit der eingesparten Arbeitszeit wächst zugleich jener Teil des Tages, der den Menschen als Freizeit zur Verfügung steht. In der befreiten Gesellschaft steht die Reduktion von Arbeit an höchster Stelle: „Auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen“ (Adorno), das ist die Arbeitsmoral einer kommunistisch befreiten Menschheit.
Da mit der Abschaffung von Eigentum und Kapital auch das feindliche Gegeneinander der kapitalistischen Konkurrenz aufgehoben wird, verliert auch Staat seine Notwendigkeit. Ein Verein freier Menschen organisiert sich jenseits des Staates – was zugleich bedeutet, jeden sog. „Marxismus“ zu verwerfen, der den bürgerlichen Staat durch einen „proletarischen Staat“ ersetzen will. Kommunistische Kritik impliziert daher immer auch eine Kritik des Partei- bzw. ML-„Marxismus“, dessen parlamentarisch-etatistische Konterrevolution den Begriff des Kommunismus schon seit mehr als 100 Jahren in die Irre führt. Auf den Müllhaufen der Ideologie mit Lenin, Stalin, Trotzki und „Deutschlands unsterblichem Sohn“ Thälmann!
Als Gegenteil völkischer Ideologie intendiert der Kommunismus auch die Abschaffung des Volkes sowie die Überwindung einer in Völker und Ethnien segregierten Welt. Der Kommunismus kennt weder Völkerrecht noch nationale Selbstbestimmung und verteidigt sie nur da, wo die bürgerliche Nation vor ihrer negativen Aufhebung geschützt werden muss. In diesem Sinne sagen wir: Für den Kommunismus!